Es ist eine erschütternde Rede, die Sahab Dag am Sonntag zum Abschluss des Grünen-Parteitags hält. Der Sprecher der Jesiden in Deutschland nimmt die Delegierten mit auf eine "kleine Reise", wie er sagt. Zu Ronahi, einem kleinen Mädchen, das im Irak zwischen die Fronten des Krieges geraten ist. "Sie ist acht Jahre alt und hat gerade gesehen, wie ihr Vater mit einem Kopfschuss hingerichtet wurde. Ihr sechs Jahre alter Bruder wurde geköpft und sein Kopf auf eine Lanze gesteckt." Ronahi und ihre Mutter wären "neu verheiratet" worden an jeweils einen IS-Terroristen, sagt Dag. "Sie werden jeden Tag mehrfach vergewaltigt, und die Welt schaut zu."

Da ist es ganz still auf dem Parteitag. Er spreche nicht nur für seine Minderheit, die Jesiden, sondern für alle, die unter dem IS-Terror litten, sagt Dag. "Wir  wollen leben, wir alle bitten inständig um Hilfe." Schließlich kommt er zum wichtigsten Punkt seiner Rede. "Die einzigen, die sich den Monstern entgegenstellen, das sind die Kurden." Der Westen müsse ihnen helfen – und wenn es mit weiteren Waffen sei, die die Kurden endlich den IS-Kämpfern ebenbürtig machten.

Der Jesiden-Vertreter Dag war vergangene Woche mit Grünen-Chef Cem Özdemir in Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Irak, um sich über die Lage dort zu informieren. Auch die Chefin der traditionell sehr linken Grünen Jugend, Theresa Kalmer, reiste mit, ebenso Tom Koenigs, der Menschenrechtspolitiker der Grünen. Danach veröffentlichten die drei so unterschiedlichen Politiker ein gemeinsames Thesenpapier. Darin findet sich ein Satz, der einen erstaunlichen Konsens ausdrückt: "Alle Gesprächspartner waren dankbar für die deutschen Waffen."

"Verständnis" für Waffenlieferungen

Özdemir spricht sich schon lange für Waffenlieferungen an die Kurden aus. Aber in seiner Partei stand er damit bislang recht allein, so dachte er jedenfalls. Als der Bundestag darüber abstimmte, ob Deutschland den Kurden mit Waffen helfen sollte, war eine deutliche Mehrheit der Grünen dagegen. Auch die Grüne Jugend kritisierte die Waffenlieferungen – heute denkt Sprecherin Kalmer allerdings ein wenig anders darüber: Sie habe "Verständnis" dafür, wenn Grüne den bedrohten Menschen mit Waffen helfen wollten, sagt sie. Viele Experten hielten das ja auch für richtig.

Die Grüne Jugend hatte sich unlängst auch für militärische Mittel gegen den IS ausgesprochen. Für die Jugendorganisation einer ehemals radikal pazifistischen Partei ist das sehr ungewöhnlich. Ihr Ringen steht ein Stück weit sinnbildlich für die Verunsicherung vieler Grüner darüber, was im Kampf gegen den IS das richtige Mittel sei und ob der Westen nicht doch mehr tun könne. Da unterscheiden sich die Grünen gar nicht so sehr von der Bevölkerung im Allgemeinen.

Vielleicht ist dies der Grund dafür, dass es kurz vor Schluss des Parteitags zu einer denkwürdigen Abstimmung kommt. Ihr Ergebnis wird noch für einige Furore in der Partei sorgen. Debattiert wird über einen Antrag zu Krieg und Frieden und die Verantwortung, bedrohte Völker zu schützen.

In aufwendigen Beratungen haben sich Vertreter des linken und rechten Flügels nahezu auf die Formulierung eines Passus zu den umstrittenen "Waffenlieferungen in Krisenregionen" geeinigt. Da steht nun, dass es ein "immenses" Risiko gebe, die Waffen könnten in falsche Hände geraten. Deshalb begrüße die Partei, dass sich eine "große Mehrheit der Bundestagsfraktion" gegen die Pläne der Bundesregierung entschieden hat. Da steht aber auch – und das ist der Friedensgruß an den Parteichef –, dass Grüne natürlich stets die "Gewissensfreiheit der Abgeordneten" respektierten, die anderer Meinung seien.